Jede*r kennt sie – die kindliche Freude am Verstecken spielen. Dabei wählen Kinder häufig Verstecke, die wir Erwachsene als „zu einfach“ empfinden. Die Füße stehen unter der Gardine hervor, es wird das immer gleiche Versteck gewählt, unter der Bettdecke wird geräuschvoll gekichert. Dr. Renate Zimmer beschreibt dieses Verhalten so: „Neben dem spannenden Moment des Verschwindens aus dem Gesichtsfeld der anderen Person geht es vor allem darum, gefunden und damit gesehen zu werden.“ (Zimmer, 2023).
Damit greift sie ein für die Entwicklung von Kindern wegweisendes Thema auf, welches spannende Impulse für den Alltag in Kindertageseinrichtungen bereithält.
Viele Fachkräfte in Kitas befinden sich im Alltagsbewältigungsmodus. Sie switchen zwischen den Planungen für das St. Martins Fest, den Vorbereitungen der Bastelangebote im Advent und den Elterngesprächen. Zwischendrin wird Streit geschlichtet, gewickelt und zwischen Tür- und Angel die Vertretungssituation besprochen. Ein wahrer Balanceakt! Ein Hamsterrad?
Für mich steckt im Aspekt der Resonanz, gerade in Zeiten des Personalmangels und der angespannten Situation in vielen Kitas, eine zentrale Haltung der pädagogischen Arbeit, die einlädt aus diesem Hamsterrad immer wieder auszubrechen und eine am Dialog mit den Kindern orientierte Pädagogik wieder in den Fokus zu rücken.
Resonanz bedeutet laut Duden zunächst nicht mehr und nicht weniger als mitschwingen und mitklingen. Spannend auch die ursprünglich physikalische Komponente des Begriffs: Schwingende Saiten eines Instruments können andere Saiten zum Mitschwingen bringen. Resonanz ist entsprechend nicht einseitig, sondern impliziert Wechselseitigkeit. Bleiben wir im Bereich der Musik kann es bedeuten, sich gegenseitig zum Klingen bringen, eine Melodie entstehen lassen, die sich durch Unterschiedlichkeit der Töne und gleichermaßen durch eine Harmonie auszeichnet.
Kinder sind von Geburt an auf die Resonanz von ihren primären Bezugspersonen, und sobald sie in einer pädagogische Einrichtung betreut werden, auf responsive Interaktion mit den pädagogischen Fachkräften angewiesen.
„Mit großen Augen blicken Babys unmittelbar nach der der Geburt in die Welt. Ein Kind spiegelt sich in den Augen der Eltern und sucht zu ergründen, ob es in dieser Welt willkommen ist.“ (Gebauer, 2019). Resonanz, das steckt in liebevollen Blicken, dem Lautieren, imitieren und sprechen, in der starken Gestik und Mimik, die wir bei Säuglingen und kleinen Kindern anwenden, im Halten, Trösten und der Zuwendung, die wir Babys entgegenbringen. Wenn diese Resonanzprozesse gut verlaufen, entsteht nach und nach nicht weniger als „Urvertrauen“. Diese Prozesse werden in der Bindungsforschung Spiegelungsprozesse genannt (Gebauer, 2019).
Aus der Bindungsforschung wissen wir mittlerweile welche fatalen und entwicklungsschädigenden Auswirkungen es haben kann, wenn dieses „Wahrgenommen werden“ ausbleibt.
Auch in der Kindertageseinrichtung sind Kinder existentiell auf das gesehen und wahrgenommen werden angewiesen und es ist bedeutsam für die Entwicklung der Kinder. Forschungsergebnisse bekräftigen, dass die wichtigsten Indikatoren zur Bewertung der Qualität frühpädagogischer Kindertageseinrichtungen in der persönlichen Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern liegen. Dazu gehört eine kommunikativ- interaktive Beziehung, die von Feinfühligkeit und Respekt geprägt ist. Dazu gehört auch die Resonanz als Teilaspekt.
Der Schlüssel für umfängliche Resonanzerfahrungen von Kindern und pädagogischen Fachkräften im Alltag liegt in den Dimensionen des Innehaltens und des Verlangsamen. Denn Resonanz braucht neben der dialogischen Haltung, Freiräume und nicht verplante Zeit (Henneberg, 2019). Das Aussteigen aus dem Hamsterrad der Angebote, Aktivitäten und To Dos im Kindergartenalltag kann ein Türöffner sein für mehr Resonanz, kann ein Türöffner dafür sein, dass Kinder sich wahrhaft „gesehen“ fühlen.
Resonanz zeigt sich dann in wahrnehmender Beobachtung der Aktivitäten der Kinder. Sie zeigt sich in einfühlsamen und wertschätzenden Dialogen mit Kindern über ihre Bedürfnisse und Themen. Die wahrnehmende Beobachtung steht laut Viernickel dabei nicht im Gegensatz zur alltäglichen Arbeit, vielmehr intensiviert sie den Kontakt mit dem Kind und ermöglichen einen echten Dialog (Viernickel, 2010).
Resonanz zeigt sich in der Anteilnahme, im Mut machen, im Kommentieren der Handlung:
„Du bist ganz alleine gerutscht! Das sieht sehr hoch aus und du hast dich getraut“.
Und sie zeigt sich im alltäglichen Miteinander, in den magischen Momenten, in denen Kinder und Erwachsene sich im Spiel und im gemeinsamen Alltag aufeinander einlassen. In dem Moment, in dem der/ die Erzieher*in nicht Erzieher*in, sondern Fragend*er, Beobachtend*er, Mitspielende*r ist.
Quellen:
Gebauer, K. (06/2019). Mit Empathie und Spucke. Die Sehnsucht nach Reaktion. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik.
Henneberg, R. (06/2019). Es sind die Gänsehaut-Momente. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik.
Schäfer, G.E. (11/2018). Kultur des Lernens – Theoretische Grundlagen. Verfügbar unter: www.kita-fachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_Schaefer_II_2018-Kulturderlernens_theoretischeGrundlagen.pdf Zugriff am: 10.11.2023.
Viernickel, S. (11/2010). Beobachtung erzeugt Resonanzen. Kindergarten heute.
Zimmer, R. (10/2023) Kinder verstecken sich, um gesehen zu werden. Kindergarten heute.
Bildnachweis: Bild von Kramarz auf Pixabay
Über die Autorin:
Julia Benning ist Erziehungswissenschaftlerin und katholische Theologin, systemische Beraterin und Supervisorin. Sie verfügt über mehrjährige Erfahrungen in der Erwachsenenbildung und ist 2022 Studienleiterin für Frühpädagogik im LWH. Mehr Informationen zu Frau Benning finden Sie hier.