"Nie wieder!"

Bischof Dominicus hat in seiner Predigt im Gottesdienst zur Festakademie anlässlich des 134. Todestages von Ludwig Windthorst ein flammendes Plädoyer gehalten, von Windthorst zu lernen, sich im politischen und gesellschaftlichen Umfeld entschieden zu positionieren, damit die christlich motivierten Maßstäbe nicht verlorengehen.

Die ganze Predigt im Wortlaut:

„Nie wieder!“ – Gleich zweimal unmittelbar hintereinander steht dieses „nie wieder“ in der Lesung aus dem Buch Genesis (Gen 9,8-15), die wir soeben gehört haben. 

Offensichtlich begleitet dieses „Nie wieder“ die Geschichte der Menschen von Anfang an. Es ist eine Urerinnerung der Menschheit nach der Erfahrung der Sintflut, welche nach der Schrift nicht einfach eine Naturkatastrophe war, sondern durch menschliches Fehlverhalten, durch Maßlosigkeit und Hochmut von Menschen ausgelöst wurde. Die Bedrohung durch Gewalttat und Verlust der Zivilisation ist eine ständige Gefahr. Das Chaos bedroht den Kosmos immer wieder neu und sucht immer wieder sintflutartig alles zu verschlingen. 

Die Worte „Nie wieder!“ hallen stark in mir nach angesichts der derzeitigen Entwicklung in unserem Land und dem erneuten Aufkommen nationalistischer Denk- und Führungsstrukturen. 

  • „Nie wieder ein menschenverachtendes Gewaltsystem wie das des Nationalsozialismus!“
  • „Nie wieder Krieg , der von deutschem Boden ausgeht!“

Das war der Grundtenor und der Grundkonsens der Väter und Mütter unseres Grundgesetzes, ein Konsens, der zum Bekenntnis zur unantastbaren Würde des Menschen führte, die vom Staat zu achten und zu schützen ist, wie zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt führte und in unserem Grundgesetz verankert wurde. Wir sind in den letzten Jahrzehnten dank der verantwortungsvollen Arbeit vieler Frauen und Männer in öffentlicher Verantwortung gut damit gefahren. 

Der Zustand unserer Welt ist alles andere als erfreulich, und zu rosarotem Optimismus ist kein Anlass. Jeder und Jede von uns weiß um die Bedrohung unseres demokratischen Wertesystems, um die Bedrohung des äußeren wie des inneren Friedens, um die Gefahr, dass das soziale Gefüge aus dem Gleichgewicht gerät, um die Gefahr des Sinnverlustes und eines geistigen Vakuums. 

Grund zur Sorge ist also in unserer Situation gewaltiger Umbrüche gegeben. Auch deshalb, weil mit dieser Sorge wiederum Politik gemacht wird. 

Der biblische Text widerspricht dem Geschäft mit der Angst und den Schreckensszenarien. Er setzt einen deutlichen Gegenakzent. Nicht wankelmütige Menschen, sondern der neue und absolut verlässliche Gott selbst spricht das „Nie wieder“ damals und auch in unsere Zeit. Darauf dürfen wir vertrauen und bauen. 

Diese Zusage Gottes „nie wieder“ entbindet uns aber nicht von unserer Verantwortung für das Leben in Gesellschaft und Kirche einzutreten.

Gottes Zusage nimmt uns vielmehr in die Verantwortung für das Leben. Jede und Jeder von uns soll nach besten Kräften die lebensbedrohlichen Mächte eindämmen und für Freiheit, Demokratie und die Rechte aller Menschen einstehen. Wir sind gerufen, das soziale Gefüge unseres Staates mitzugestalten, wie es Ludwig Windthorst in seiner Zeit tat. 

Er hat mit einem unbändigen Elan und einer souveränen Sturheit die Wahrung von Menschenrechten, insbesondere von Minderheitenrechten, um welche Minderheiten auch immer es sich handelte, gegen preußische Machtansprüche verteidigt. Er wurde zu einem Visionär des politischen Katholizismus im deutschen Kaiserreich, zum Wegbereiter der christlich-demokratischen Idee und Verantwortung. 

Ludwig Windthorst gehört neben Josef Görres, dem wortgewaltigen Publizisten, und Wilhelm-Emanuel von Ketteler, den herausragenden Mainzer Bischof, zu den Führungspersönlichkeiten mit großem politischem und sozialem Weitblick. 

Uns Menschen ist die Sorge für das Leben zu treuen Händen anvertraut. Diese Sorge ist die tiefste und höchste Verpflichtung der Politik. Politische Verantwortung zu übernehmen, heißt, Verantwortung für das Leben zu tragen. Politik ist Dienst am Leben. Sie soll nach besten Kräften die lebensbedrohlichen Mächte eindämmen helfen. 

Politisches Handeln verfehlt seine Aufgabe, ja es wird zutiefst unglaubwürdig, wenn der notwendige Meinungsstreit zum bloßen parteipolitischen Interessenstreit verkommt und nicht der Streit um die beste Lösung für das Leben ist. Politisches Handeln verfehlt seine Aufgabe, wenn es um populistisches Schielen auf momentane vordergründige Pluspunkte oder gar um persönliche Vorteilnahme zu gehen scheint anstatt um Antworten auf die elementaren Lebenssorgen und Nöte der Menschen, vor allem der kleinen und einfachen Leute. 

Um die Orientierung zu behalten, kann es helfen, sich bewusst zu machen: Jenseits aller Pragmatik steht die Politik unter Voraussetzungen und Maßstäben, die ihr vorgegeben sind. 

Stehen wir zu unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen. Mühen wir uns um Gerechtigkeit und so um die Grundvoraussetzung, die Frieden schafft. 

Ludwig Windthorst kann uns hier Vorbild und Ermutiger sein. Grundstein seiner Botschaft waren die allen Menschen zugewandte Liebe und Wertschätzung Gottes, die ihn zu einem verantwortlichen Handeln in Kirche und Politik ermutigte. 

Ludwig Windthorst war bereit, sich im Spannungsfeld von Politik und Religion zu positionieren. 

Er fordert uns heute zu einer Positionierung heraus, da wir noch deutlicher als er wahrnehmen müssen, dass die Religionen nicht die einzige Quelle von Werten in einer Gesellschaft, von Überzeugungen, die über die eigene Person hinaus Geltung beanspruchen, ist, aber eine unverzichtbare. Wir sind heute gefordert, ihr unsere Stimme zu geben und für diese Werte einzutreten. 

Hier sollten wir uns, wie Ludwig Windthorst zu seiner Zeit, entschieden positionieren, dass die christlich motivierten Maßstäbe nicht verlorengehen. 

Hier ist unser persönliches Engagement gefragt, damit die demokratischen Grundlagen unseres Staatswesens vor dem Chaos bewahrt bleiben. 

Eine solche Entschiedenheit würde Ludwig Windthorst sicher gefallen und seinem Erbe entsprechen.