Der Direktor des Instituts für kanonisches Recht an der Universität Münster, der zum Thema “Zukunft der Kirche - Von einer Volkskirche zur Kirche des Volkes” sprach, richtete im LWH seinen Blick auf die “erste Christenpflicht”, wie er es nannte: “Evangelisierung ist kein Hallelujachristentum, sondern zuerst und entschieden das an der Seite derer Stehen, die unter die Räder der Geschichte gekommen sind: missbrauchte Kinder, Jugendliche und Frauen, Flüchtlinge, Obdachlose und Bürgergeldempfänger. Was werden wir denn beim jüngsten Gericht gefragt werden? Wahrlich nicht, ob wir nach außen Vorzeige-Christen mit möglichst vielen akademischen Titeln und Posten waren, sondern ob wir Nackte bekleidet, Obdachlosen ein Dach über dem Kopf, Hungrigen zu Essen und Dürstenden zu trinken gegeben oder Gefangene besucht haben.”
Für Schüller ist die Synodalität ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einer Kirche des Volkes: “Synodale Kirche ist eine Kirche des gemeinsamen Weges, auf dem alle in gleicher Weise den Glauben bekunden, bezeugen und an wesentlichen Entscheidungen mitwirken.” - So formulierten es die “vielen Väter, wenigen Mütter und Papst Franziskus auf der letzten Bischofssynode”. Allerdings sei man noch auf das päpstliche, respektive bischöfliche, Entgegenkommen angewiesen, denn “noch sind die se Vorschläge nicht rechtliche Realität und harren der kanonischen Umsetzung”.
Wasser in den Wein goss Thomas Schüller, als er auf die Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche zur Sprache kam: “Was das Thema Weihe angeht, auch für Diakoninnen, ist der Papst skeptisch bis ablehnend.” Die theologische Begründung, die Männer in die Tradition Petrus und Frauen in die Tradition Marias stellt, bezeichnete er als “für viele meiner weiblichen Studierenden nicht auszuhalten”. Schüller selbst zeigte sich davon überzeugt, dass die Überlebensfähigkeit von Kirche in Zukunft davon abhängt, dass “Frauen und Männer als Zeuginnen und Zeugen des Glaubens auskunftsfähig sind und bei entsprechender Berufung ehren- und hauptamtlich Zugang zu allen dienenden Ämtern haben”.
Mit Blick auf die Situation in der katholischen Kirche in Deutschland analysierte er einen kirchlichen Heimatverlust der Gläubigen. Er forderte auf, den Glauben wieder stärker erfahrbar zu machen. Dazu brauche es Orte für kirchliche Gemeinschaft. “Worauf es in Zukunft ankommen wird, ist, dass solche Räume gerade im ländlichen Raum erhalten bleiben, wo die Menschen doch on ihrem Alltag leibhaftig aber auch digital immer ortloser werden. Das werden Gläubige zunehmend selbst in die Hand nehmen müssen.”
Zuvor hatte LWH-Direktor Marcel Speker in seiner Begrüßung deutlich gemacht, dass es eine wesentliche Aufgabe der Kirchen auch in Zukunft sei, sich aktiv in die politische und gesellschaftliche Diskussion einzubringen - gerade auch vor dem Hintergrund von zunehmend trumpistischen Methoden, die auch in der deutschen Politik zu beobachten seien: “Es ist genau diese kooperative Dialogfähigkeit im klaren Bewusstsein der eigenen Werte, die wir in der aktuellen Zeit dringender denn je brauchen.” Mit Blick auf die Hinweise des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der der Kirche ja mehr Zurückhaltung bezüglich gesellschaftspolitischer Einordnungen empfohlen hatte, machte Speker deutlich, dass die Kirchen auch aus der Haltung Ludwig Windthorsts ableiten können, “dass sie das Recht und auch die Pflicht haben, sich in politische und gesellschaftliche Themen einzubringen.”
Auch Bischof Dominicus hatte in seiner Predigt im Gottesdienst die Brücke zu Windthorst geschlagen: “Ludwig Windthorst war bereit, sich im Spannungsfeld von Politik und Religion zu positionieren. Er fordert uns heute zu einer Positionierung heraus, da wir noch deutlicher als er wahrnehmen müssen, dass die Religionen nicht die einzige Quelle von Werten in einer Gesellschaft, von Überzeugungen, die über die eigene Person hinaus Geltung beanspruchen, ist, aber eine unverzichtbare. Wir sind heute gefordert, ihr unsere Stimme zu geben und für diese Werte einzutreten. Hier sollten wir uns, wie Ludwig Windthorst zu seiner Zeit, entschieden positionieren, dass die christlich motivierten Maßstäbe nicht verlorengehen.” Die ganze Predigt des Bischofs ist hier nachzulesen.