Antisemitismus: Der Schlüssel liegt in der Gesellschaft

Es war ein besonderer Akademieabend, zu dem LWH-Direktor Marcel Speker rund 60 Personen im Ludwig-Windthorst-Haus begrüßen konnte: besonders aktuell, besonders kurzfristig organisiert, besonders kompetente Gäste - und besonders wichtig. Es ging um Antisemitismus in Deutschland - auch vor dem Hintergrund großer Demonstrationen in Berlin nach dem Angriff der Hamas auf Israel.

Es war eng auf der Bühne im LWH. Um das Thema tatsächlich aus allen Perspektiven und in all seinen Facetten zu beleuchten, waren insgesamt sieben Diskussionsteilnehmende zusammengekommen. So diskutierten der stellvertretende Vorsitzende der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Mathias Middelberg, Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Prof. em. Dr. Rüdiger Robert, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Osnabrück, Michael Grünberg, die Leiterin des Bereichs Weltkirche im Bistum Osnabrück, Dr. Regina Wildgruber, die Leiterin des Polizeikommissariats Nordhorn, Katharina-Alke Bruns und der Vorsitzende des Forums Juden-Christen, Simon Göhler, vor Ort im LWH. Zugeschaltet war live aus Tel Aviv außerdem die Journalistin und TV-Korrespondentin Pia-Marie Steckelbach.

Umfangreiches Thema

Obwohl Moderator Speker gleich zu Beginn bereits das Thema auf die Frage von Ausprägung, Ursachen und Gegenmaßnahmen zum Antisemitismus in Deutschland eingrenzte, zeigte sich im Diskussionsverlauf, dass die Themen selbst in dieser zweistündigen Veranstaltung nur angerissen werden konnten - zahlreiche einzelne Aspekte in diesem Zusammenhang hätten ihrerseits das Potenzial für einen eigenen Akademieabend entfalten können. So diskutierte die Runde zunächst die Frage der Ausprägung von Antisemitismus - von offenen Protesten, wie sie etwa in Berlin vorkamen, bis hin zum latenten Alltags-Antisemitismus. Hier wurde als Beispiel sowohl der Ausschnitt aus dem Podcast von Markus Lanz und Richard David Precht als auch die spätere Reaktion von Marie-Agnes Strack-Zimmermann in der Lanz-Sendung eingeblendet. Daran wurde gleich zweierlei verdeutlicht: Wie sehr antisemitische Stereotype gesellschaftlich verwurzelt sind und wie wichtig es ist, sich diesen engagiert und klar entgegenzustellen. Ebenfalls thematisiert wurden die Ergebnisse aus der MITTE-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die einen Anstieg von antisemitischem und rechtsradikalem Gedankengut innerhalb der Bevölkerung Deutschlands nachgewiesen hatte, aber auch die unterschiedlichen Antworten, die auf unterschiedliche Motivationen des Antisemitismus gegeben werden müssen - sei es von links oder rechts, sei es heimischer oder zugewanderter Antisemitismus.

Lösungsoptionen

Für Michael Grünberg liegt die Lösung der antisemitischen Herausforderungen bei jedem Einzelnen: "Ich werde immer wieder von Nicht-Juden gefragt, wie es sich anfühlt, dass unsere Synagogen von der Polizei beschützt werden müssen. Ich frage dann zurück, wie es sich für sie anfühlt, dass unsere Synagogen geschützt werden müssen. Am Ende liegt der Schlüssel gegen Antisemitismus in der Gesellschaft." Diese Perspektive unterstützte auch Dr. Regina Wildgruber und warb für Selbstreflexion: "Zunächst einmal müssen wir den Antisemitismus wahrnehmen und bekämpfen. Es kommen noch neue Herausforderungen dazu: alles was an Dialog- und Gedenkkultur gewachsen ist, muss gut gepflegt werden und in eine neue Phase überführt werden." Für Dr. Mathias Middelberg sind mehrere Schritte notwendig. Er stellte zunächst die Frage: "Wie gehen wir eigentlich im Bereich Bildung mit Antisemitismus um? Sind unsere Schulen darauf eingestellt, auf kritische Fragen zum Nahost-Konflikt Antworten zu geben?" Darüber hinaus forderte er das Einziehen einer Hürde gegen zugewanderten Antisemitismus: "Bei der Einbürgerung muss geprüft werden, ob antisemitische Straftaten vorliegen. Dem steht aber aktuell noch unser Datenschutz entgegen."

Prof. Dr. Robert betonte einen Zusammenhang zwischen dem Aufflammen von Antisemitismus auch in Deutschland und dem Nah-Ost-Konflikt: "Eine Friedensregelung im Nahen Osten ist das A und O um einen Teil des Drucks vom Antisemitismus in Deutschland wegzunehmen und hier ist es die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland sich wesentlich stärker als in den vergangenen Jahren zu engagieren. Es reicht nicht, zu sagen, das Existenzrecht Israels ist Staatsräson." Katharina-Alke Bruns brachte aus polizeilicher Sicht den prophylaktischen Schutzgedanken ein: "Mir ist wichtig, dass wir als Polizei Präsenz zeigen und den Menschen vermitteln, dass wir da sind und für die Sicherheit sorgen." Simon Göhler sah die gesellschaftliche Präventionsarbeit im Vordergrund: "Konkrete Projekte vor Ort sind wichtig, wie etwa "Judendtum begreifen", das wir auch mit Schulklassen durchführen, um Vorurteile abzubauen." Zudem betonte er auch die Bedeutung der Erinnerungskultur, die mit dem Versterben der letzten Holocaust-Überlebenden neu aufgesetzt werden müsse. Abschließend sagte Pia-Marie Steckelbach: "Ich würde mir wünschen, dass der Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen nicht abbricht, denn das ist etwas, was wir gerade in Israel hier sehen, dass das Misstrauen sehr wächst, speziell zwischen Juden und Arabern nach dem Massaker vom 7.Oktober. "  

Das Schlusswort jedoch gebührte Ludwig Windthorst, den Speker aus dessen Rede vom 16. April 1880 vor dem Reichstag zitierte: "Ich werde das Recht, welches ich für die katholische Kirche und deren Diener in Anspruch nehme, jederzeit vertreten. Auch für die Protestanten und nicht minder für die Juden - ich will eben das Recht für alle."

Den Mitschnitt der ganzen Veranstaltung finden Sie hier: https://youtu.be/tKX2sf08E4U